«Der Groove muss stimmen»

«Der Groove muss stimmen»

Szenografin Melanie Mock fordert heraus: Sie lässt ein Dorf zur Bühne werden, macht Bewohner*innen zu Schauspieler*innen. Das Schaffen der Winterthurerin ist ein Lockruf aus der Komfortzone.

Die Faszination für den Raum war schon immer da. Vielleicht war es mehr als bloss ein Zufall, dass der Stein des Anstosses, der Melanie Mock in die Welt der Selbstständigkeit katapultierte, das Winterthurer Kollektiv «T_Raumfahrt» war. Dieses plant Freilichtinszenierungen, Ausstellungen und Installationen; Melanie kannte die Künstlerinnen schon aus ihrer Studienzeit. «Elisabeth Wegmann und Isabel Schumacher, zwei der Gründerinnen, sind damals bei uns vorbeigekommen und haben ihre Projekte vorgestellt», erinnert sie sich. «Ziemlich freakige Theaterprojekte an ungewöhnlichen Orten.» Nach vier Jahren Szenografie an der Zürcher Hochschule der Künste verschlug es die junge Frau relativ rasch in die freie Szene. Schon während des Studiums engagierte sie sich bei «Menschenschau», einer Theatergruppe ehemaliger Gymischüler*innen, die im Gaswerk probten – und knüpfte in dieser Zeit erste Kontakte in der Szene.

Es sind Orte mit Patina, die die Szenografin anziehen, nicht die leere Bühne. «Eines der Projekte, das mir am meisten geblieben ist, war ‹Das Orakel von Turtmann›, mein erstes Projekt mit T_Raumfahrt», erzählt Melanie: Gemeinsam mit den Dorfbewohner*innen bespielte das Kollektiv damals Plätze und leere Häuser in dem Walliser Dorf Turtmann. Die Bühne war das Dorf, das Publikum bewegte sich mit den Schauspieler*innen: Über einen Weg vom zentralen Dorfplatz hin zu einem grossen Wasserfall am Dorfrand, teilweise gar mit Ross und Wagen. «Das Orakel von Turtmann» verkörperte eine Art von Theater, die bis heute eine grosse Faszination auf Melanie Mock ausübt: das partizipative Theater. Es sind oft nicht Projekte, bei denen eine «herkömmliche» Bühne mit dem gewohnten Graben zwischen  Schauspieler*innen und Zuschauer*innen bespielt wird, sondern solche, die ausserhalb der offiziellen Kulturstätten zustande kommen. «Die künstlerisch-partizipative Arbeit in dörflicher Umgebung fordert aber auch einiges an Überzeugungsarbeit», erzählt Melanie. Erst müsse viel Vertrauen geschaffen werden zwischen den von aussen kommenden Projektinitiant*innen und den lokalen Bewohner*innen. «Diese soziokulturelle Komponente fasziniert mich sehr». Ein solches Projekt könne ein ganzes Dorf verändern. «Manchmal blüht ein ansonsten eher scheuer Dorfbewohner in seiner Rolle total auf.» Spannend sei auch, die Unterschiede zwischen den Regionen zu spüren: Während im Wallis bei einem solchen Spektakel normalerweise fast das ganze Dorf involviert ist, lässt sich beispielsweise im Zürcher Oberland immer nur ein Teil der Dorfbevölkerung dafür begeistern.

Tätig ist Melanie Mock nicht nur im Theaterbereich: Für kulturhistorische und naturwissenschaftliche Museen entwirft sie szenografische Konzepte und setzt sie um. «Die Erwartungshaltung der Besucher*innen ist zuweilen sehr hoch», meint Melanie. Vielfach würden diese ein Museum aufsuchen, um dort das zu finden, was sie sich gewohnt sind: Bilder, Vitrinen, Informationstexte. Stehen plötzlich Menschen mitten im Raum, sorge das zuerst einmal für Irritation. Ein Beispiel dafür war die letztjährige Ausstellung «Zeit. Zeugen. Arbeit.» im museum schaffen, welche die Grenzen von Ausstellung und Theaterperformance auslotete. Gemeinsam mit Co-Kurator Martin Handschin und Regisseurin Julia Bihl gestaltete die Szenografin Interaktionen zwischen den «lebendigen Museumsgegenständen» und dem Publikum. «Ich will den Besucher*innen die Scheu vor der Interaktion nehmen», sagt Melanie.

Auch bei der Ausstellung «Eins, zwei, drei, 4.0», die aktuell in der Halle Draisine zu sehen ist, hat sie als Szenografin und Projektleiterin mitgewirkt. Die Schau befasst sich inhaltlich mit den vier industriellen Revolutionen; dabei wurden Bilder, Texte und Objekte zum Thema auf Ablageflächen ausgelegt, die in Zickzack-Form in der Halle angeordnet sind. Melanie Mock entschied sich bewusst für diese Anordnung, um die Bewegungen und Brüche der Geschichte visuell zu betonen.

Wichtiger als ein perfekt durchdesigntes Projekt ist ihr allerdings das, was am Schluss auf der Bühne beziehungsweise in der Ausstellung unsichtbar ist: «Der Groove muss stimmen.» Transdisziplinarität ist das Zauberwort: Bringt jedes Teammitglied sein ganzes Wissen und Können ein, kann etwas entstehen, das grösser ist als die Summe der einzelnen Teile.

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