Man hörte die Aussage an verschiedenen Ecken am Wochenende: Das Line-Up vom m4music-Festival war auch schon spannender. Oder zumindest mehr dem Geschmack der Entdeckungsfreudigen gewidmet. Tatsächlich, es gab weniger neu zu Entdeckendes, weniger Wow-Momente als auch schon – zumindest wenn man das Lin-Up anschaute.
Doch zum einen konnten wir doch einige Konzerte erleben, die Lust machen auf mehr und mit Zuversicht auf die zukünftige Schweizer Musiklandschaft blicken lassen: Insbesondere junge Schweizer Bands überzeugten am meisten. Und zum anderen vermochten gerade Konzerten abseits der Bühnen – sogenannte «Pop out of nowhere»-Gigs von ZHdK-Studenten – schöne Überraschungs-Akzente zu setzen. So spielten Bands plötzlich unter unseren Füssen in einem Schacht oder im Gang.
Folgende Konzerte bleiben in grosser Erinnerung:
Unverfälscht und locker: Len Sander
Ganz ehrlich, wir mussten sie einfach mögen, als sie da auf der Bühne standen. Die fünf Jungs und die Sängerin der Zürcher Electro-Pop Band Len Sander spielen Musik live so, wie sie sich wohl auch zum Grillieren bei Freunden treffen: Unverfälscht, locker, mit einem Lächeln auf den Lippen. Doch das, was sie da auf der Box-Stage produzierten war alles andere als unverfänglich, sondern einlullende, eingängige, melancholische Elektrop-Welten. Len Sander legen sowohl Song-technisch wie auch spielerisch eine Reife an den Tag, die verblüfft. Am besten waren sie dabei – auch wenn die Sängerin überzeugt –, wenn sie zu Instrumental-Reisen aufbrachen.
Es ist zu hoffen, dass Len Sander ihre gezeigte Lockerheit und Sympathie auch auf den grossen Bühnen behalten werden. Denn dort führt sie ihre Musik wohl hin.
Überforderung pur: The Wedding Party Massacre
Wedding Party Massacre überfordert. Und das ist gut so. Auch wenn einige im Saal nicht so wirklich wussten, was sie mit der Performance anfangen sollten, die da auf der Bühne stattfand. Denn Wedding Party Massacre ist nicht nur eine Band, es ist eine Show: Mit Tanz, mit Masken, mit Visuals – aber eben auch mit sauguten Musikern und einer Mischung aus pathetischen Rock und progressivem Pop. Alles ist konzipiert, jeder Ton sitzt im Projekt des Basler Musiker Fabian Chiquet (The bianca Story). Das mag zuweilen ein wenig gar künstlich wirken und Momente, in denen sich die Protagonisten vom Drehbuch befreien, würden der Performance gut. Aber etwas mit solcher Konsequenz und solcher Show auf die Bühne zu bringen, ist neu in der Schweiz – und so zu recht auf dieser Liste.
Beschwingt und sympathisch: Frank Powers
Wenn man Len Sander gern haben muss, dann Frank Powers erst recht. Die sind nämlich genauso sympathisch – und gaben uns beim Zuhören noch ordentlich Cüpli. Doch auch ohne Alkohol hätten wir dieses Konzert beschwingt verlassen: Im Rahmen der diesjährigen «Pop out of nowhere» Konzerte nahmen sie einem mit auf ein Reisli von vom Schiffbau-Gang bis aufs Dach des Exils. Dabei fehlte es an nichts: Luftballone, Tänzerinnen und eine, die auf einem Gireitzli hin und her schaukelte. Definitiv ein Highlight des diesjährigen m4music-Festivals. Und ah ja: Frank Powers macht übrigens auch super Musik. Aber hört selbst:
Brachial und fein: Egopusher
Keine Ahnung, wie wir das beschreiben sollen. Stellt euch einfach vor, ihr kommt in das Jazz-Lokal Moods und seht vorne zwei Männer, von denen der eine wie wild auf seiner Geige zupft und zerrt und der andere sein Drum malträtiert. Herauskommt pure Brachialität und Finesse zugleich. Der Kopf kreist, die Füsse stampfen, die Gedanken schweifen und das Auge schaut ungläubig. Und plötzlich ist das Konzert vorbei und du denkst «och nööö!»
Authentisch: Rat Boy
Britischer Akzent, Schrummelgitarre, verwuscheltes Haar und ein etwas schläfriger, abgefuckter Blick: Vom Look her erinnert Jordan Cardy an den jungen Pete Doherty. Und auch musikalisch steht der 19-Jährige dem Pop-Idol der Nuller-Jahre in nichts nach. Cardy kommt aus Essex, schreibt grandiose Songtexte, spielt Gitarre mit einer ordentlichen Attitüde Punk und produziert dazu Hip-Hop-Beats der allerfeinsten Sorte und nennt das ganze Rat Boy. Das mag zuweilen ein etwas gewagter Mix sein – Rat Boy klingt nach the Streets und Arctic Monkeys – bringt aber alles zusammen, was in den Jugendbewegungen Grossbritanniens gerade so aktuell abgeht. Rat Boy ist authentisch, bedient Klischees, und bricht diese mit einer Unbekümmertheit wieder, dass es Spass macht, dem Engländer zuzuhören. Definitiv eine der Entdeckungen, von denen man mehr als nur diese eine Show im Exil sehen will!
Die Alltagspoeten: Ok Kid
Flüchtlingsdebatte, Pegida, besorgte Bürgern, «Gutmenschen» und die deutsche Willkommenskultur – nicht nur ein, sondern gleich mehrere politische Statements waren am m4music von einer der interessanten Bands aus der deutschen Rap-Szene zu hören. Bereits Neonschwarz verleitete uns am Samstagabend mit ihrem politisch motivierten Hiphop und den zugleich soliden Partytracks im Exil sogar zum Bouncen. Doch da wussten wir noch nicht, was OK Kid uns am späteren Abend in der Box bieten würde: Pointierte und vor allem clevere Texte über Alltagsbeobachtungen, mit denen sie einer rastlosen Generation einfach so mal schnell den Spiegel vorhalten. Das ganze kombiniert mit tanzbaren Pop, Funk und treibenden Elektrobeats. Grandios!
Vielversprechend: Faber
Eines ist klar: Faber ist der Shootingstar der schweizerischen Indie-Szene. Das bewies er auch am m4music mit einem Auftritt, der mal leise und zerbrechlich, mal stürmisch wie ein Orkan war. Faber ist ein Geschichten-Erzähler, dem man nicht nur wegen seiner kratzigen Stimme gerne zuhört. Wer am 17. August erst auf 20.30 Uhr zum MFW-Auftakt-Konzert von Faber kommt, hat wohl Pech gehabt. Denn wir vermuten, dass es dann keinen Platz mehr auf dem Kirchplatz hat.