Die Politik hinter dem Grün

Die Politik hinter dem Grün

Die Ökologisierung der Stadt kann für hitzige Diskussionen sorgen. Wo die einen Bäume pflanzen wollen, sehen die anderen das Laub, die dritten viel Arbeit. Hanna Widmer wollte von Stadtgrün Winterthur wissen: Was steckt hinter dem Grün der Stadt? Wer spricht mit? Wer entscheidet? Was macht Spass und was verursacht viel Arbeit? Beat Kunz, Leiter von Stadtgrün Winterthur, gibt Auskunft.

Mit der Begrünung von öffentlichen Räumen ist es so eine Sache: Ist sie da, sagt keiner was. Sie ist eine Selbstverständlichkeit. Fehlt sie jedoch oder beginnen die Pflanzen zu welken, wird erste Kritik laut: Ist denn keine*r da, der*die sich darum kümmert? 

 

Beat Kunz ist Leiter von Stadtgrün Winterthur. Zu seinem Aufgabengebiet gehört so einiges: die Bewirtschaftung von Forstanlagen, dem Wildpark und den Friedhöfen; die Pflege und Konzeptualisierung von Parkanlagen und Spielplätzen sowie die Freiraumplanung und -entwicklung. Nebst Fachwissen braucht er viel Flexibilität: Täglich macht er den Spagat zwischen den Forderungen der Politik, den Wünschen der Bevölkerung und den Bedürfnissen seiner Angestellten. Was auf Papier gut klingt, kann in der Umsetzung ganz anders aussehen. «Wir versuchen, den Prozess der Stadtbegrünung vom politischen Dekret bis zur finalen Umsetzung für so viele Menschen wie möglich verständlich zu machen», sagt Beat Kunz. Kompromisse gehören dabei dazu. Wenn viele Akteur*innen beteiligt sind, kann es Enttäuschungen geben. Durch Partizipation entsteht aber auch ein grösseres Mitsprachegefühl.

 

Aber auch anderes beschäftigt Stadtgrün tagtäglich: Den Klimawandel und seine Folgen bekommen Beat Kunz und seine Leute selbstverständlich hautnah mit. Das hat dazu geführt, dass die Arbeitslast für die Angestellten in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Im Rekordsommer 2018 war zum Beispiel der Rasen plötzlich braun, was auch die Bevölkerung beunruhigte. Doch die Dürre reichte tiefer: Auch die Bäume in den Wäldern litten – nebst Wassermangel unter der rasanten Ausbreitung des Borkenkäfers. Die Bekämpfung letzterer war mit einem erheblichen Finanz- und Arbeitsaufwand verbunden. «Normalerweise wird im Winter geholzt, der Sommer ist leichter: Wenn wir nun aber das ganze Jahr über Bäume schlagen, nimmt das den Mitarbeiter*innen die Erholungsphase», sagt Beat Kunz. Nach den Trockenjahren folgten einige «normale» Jahre. Bis im letzten Winter der Nassschnee kam: In einem Grossteil der Stadtbäume waren – von der Strasse aus kaum ersichtlich – in der Baumkrone Äste abgebrochen. Bis in den Juni hinein waren die Baumpfleger*innen damit beschäftigt, diese zu entfernen. «Im Wald abseits von Strassen und Wegen wäre das nicht so schlimm, aber in der Stadt gefährden abgebrochene Äste die Passant*innen», sagt er.

 

Auch Corona machte sich im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden von Stadtgrün bemerkbar: Weil Restaurants und Bars geschlossen blieben, wurden Aussenanlagen wie der Stadtpark oder kleinere öffentliche Grünflächen umso stärker genutzt. Und an diesen Orten wurden mehr Abfälle hinterlassen. Wo die Städte wachsen, wächst auch der Wunsch nach einer 24-Stunden-Gesellschaft. Die zunehmende, sogenannte «Mediterranisierung» des Stadtlebens treibt die Menschen nach draussen. Das führt zu mehr Unterhalt und Instandhaltungsarbeiten der öffentlichen Park- und Sportanlagen.

 

 

Dem Stadtmelder, einer von der Stadt initiierten App, um Schäden oder Störungen zu melden, steht Beat Kunz manchmal etwas ambivalent gegenüber: «Einerseits ist es ein total gutes Instrument: Speziell in Bezug auf den Wald und auf die Anlagen sind wir extrem froh, wenn wir Meldungen erhalten, damit wir wissen, was es zu beheben gibt.» Andererseits kommen viele Meldungen rein, die gar nicht unbedingt Stadtgrün betreffen, sondern die Grundeigentümer*innen, die dafür verantwortlich sind. Zudem dient der Melder auch oft dazu, Frust abzulassen – und das Tool weckt eine Erwartungshaltung, dass alles gleich umgehend behoben werden kann und muss. «Wenn kein unmittelbares Risiko besteht, kann es durchaus vorkommen, dass wir erst zwei Wochen später am Ort aufkreuzen.»

 

Die Stadt Winterthur wächst an allen Ecken und Enden: Die Sanierung des Stadtgartens sowie Quartiererweiterungen in Grüze und Neuhegi stehen bevor – was bedeutet das für Stadtgrün Winterthur? «Grundsätzlich kommt es weniger auf das Quartier als auf das Projekt an, wie weit wir involviert sind respektive, welche Ressourcen es braucht», meint Beat Kunz. In der Planung von Quartieren wie Grüze oder Hegi werden die Bewohner*innen aktiv mit einbezogen, Veränderungen erfolgen nicht selten partizipativ. «Bei der Sanierung des Stadtgartens allerdings gibt es keine Partizipation: Die vielen verschiedenen Nutzer*innen mitsprechen zu lassen wäre ein Ding der Unmöglichkeit», sagt Beat Kunz.

 

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei «Treibern», die ein Projekt auslösen: Das eine sind sanierbedürftige Anlagen. Stadtgrün ist in solchen Fällen die treibende Kraft, schaut aber trotzdem genau hin, ob Spannungsfelder da sind. Vor Ort werden zwar Interessensgruppen miteinbezogen; die Bevölkerung hat aber ein beschränktes Mitspracherecht. Auf der anderen Seite stehen selbstinitiierte Projekte, die von der Bevölkerung ausgehen. Hier steht Stadtgrün eher beratend zur Seite.

 

Derzeit sind es eher Projekte von aussen, die Stadtgrün auf Trab halten. Zum Beispiel bei der Planung der Autobahn Winterthur Süd, die von der Stadt gern in einen Tunnel verlegt werden würde. «Die Autobahn hat einen massiven Einfluss auf das Gesicht der Stadt», meint Beat Kunz. Auch der Brüttener Tunnel greift weit in die Struktur der Stadt und des Bahnhofs Töss hinein. Hier begleitet Stadtgrün ebenfalls die Freiraumentwicklung. Auch der Kanton bringt Wünsche an: Zum Beispiel bei der geplanten Revitalisierung der Töss. Beklagen will sich Beat Kunz nicht: «Eine Stadt ist – hoffentlich – ein dynamischer Komplex und bewegt sich dementsprechend auf verschiedenen Ebenen in einem steten Wandel.» Hinzu kommt die Vorbereitung auf den Klimawandel. Ein von Beat Kunz initiiertes Projekt sind die 1’000 Bäume, die innerhalb von drei Jahren auf dem Gebiet der Stadt Winterthur gepflanzt werden. Dabei ist das Pflanzen der Bäume der kleinste Teil der Arbeit: «Viel schwieriger ist es, geeignete Baumstandorte zu finden», erklärt Beat Kunz. Im Internet ist der Leitungskataster der Stadt Winterthur frei zugänglich – viel Boden für Wurzelwachstum bleibt zwischen Abwasserleitungen und Internetkabeln nämlich nicht mehr übrig. Gerade Neuhegi oder Grüze wachsen unglaublich schnell – hier ist stets noch mehr Voraussicht gefragt.

 

«Was auch oft vergessen geht: Die grüne Infrastruktur – ist sie erst einmal gepflanzt – braucht viel Unterhalt. Gestern war ich mit meinen Mitarbeitenden unterwegs, und mir wurde wieder bewusst, an wie vielen Orten in dieser Stadt gegossen werden muss», meint Beat Kunz. Das Fiese daran ist, wie eingangs erwähnt: Merken tut es die Bevölkerung vor allem, wenn der Unterhalt falsch eingeschätzt wird und Pflanzen welken. Die Ökologisierung der Stadt heisst: viel Arbeit und viel Zeit – aber auch viel Lebensqualität.

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