Was bleibet stiften die Poeto-graph*innen

Was bleibet stiften die Poeto-graph*innen

Die Poetographie macht Akzente in der Raumtextur Winterthurs erfahrbar. (Oktober 2020)

Logbucheintrag Oktober: Drei Zu-Fälle

Raum, Ort – Rhythmus. «Begreifen wir den Raum als das, was es uns erlaubt, uns zu bewegen, dann sind Orte Pausen»: Diese rhythmische Textur aus Fortgang und Stillstand entfaltet der Humangeograph Yi-Fu Tuan in seiner Betrachtung darüber, wie wir Raum erfahren. An jene Pausen knote sich die Bedeutung des Raumes, sie mustern das Gewand ... aufwändig, doch möglich, ist es, die Poetographie in diesen Gedankengang einzubeziehen, die Eydus dieser Textur – lose, dicht – einzuflechten. Verdichtet sich doch das mit der Dichtung verzwirnte lose Namenlose zu dem fadenscheinigen Stoff, aus dem die Poetographie gewebt ist: Im letzten Logbucheintrag (Zur KVA) erläuterte ich, dass mir manchmal die Eydus von Orten in den Sinn kommen, wenn ich diese Orte passiere. Eydus können also die beim Gehen mitgängigen Gedankengänge aufhalten, indem sie eine Erinnerung eröffnen. Und öffnet der Raum durchs Eydu angehalten sich, merke ich, dass da ein Ort aufscheint, der erst durch die Worte eines*r anderen eröffnet wurde – bemerke das Wir im Ich. Angesichts dieses Innehaltens ereignet sich mir, direkt vor Augen, der Ort als ein Ereignis, das nicht ganz mein eigenes ist, sondern sich als etwas, durch die Worte anderer mir angeeignetes, mir einverändert. Kurz, Eydus ermöglichen die Möglichkeit, auf die Raum-Ort-Textur auf-‹merk›-sam zu werden, sie gar anders zu be-‹wegen›. Anders als bei den meisten Gedichten ist bei den Eydus also nicht nur der Rhythmus der Verse Takt angebend, sondern die ihnen innewohnende Rhythmisierungsarbeit, die die Textur des städtischen Raumes aufzeigt und mitbestimmt. 

Ortsnamen – Fassaden, Gleise. Indem Eydus Orte in Worte fassen, leisten sie Rhythmisierungsarbeit. Doch gibt es ausnehmende Ausnahmen: Eydus,
die die Vergangenheit aus Ortsnamen entnehmen – aufgleissen lassen – und Eydus, die Ortsnamen in sich aufnehmen – einfassen. Die Eydus, die die Namen verschwundener Orte in sich einfassen, ähneln den Fassaden der Gebäude auf dem Sulzer Areal, die die Reste einer vergangenen Epoche fassbar erhalten: Es ist still im Haus / Zeit im ‹Frohsinn› vergangen / Bald gibts was Neues (Restaurant Frohsinn in Stadel von Irène Biberstein); stetig tost die Töss / über allem steht das Haus / noch bis Ende Jahr (‹oxyd› von Katja Kunz). Das Restaurant Frohsinn ist fort, die oxyd-Kunsträume umgezogen. Den Fassaden dieser Häuser blätterten, letterten, ihre Namen ab. Doch diese verwaisten Namen in den Eydus verweisen nicht ins Nichts, sondern auf etwas, was fort und doch – gespenstisch – noch da ist, ‹nämlich› als bestimmtes Verweisen eines verwaisten Namens, der nun nur noch einem Eydu innewohnt. Vielleicht weisen diese verwaisten Verweise heimsuchend auf eine Weisheit hin, die darauf wartet, (zu) uns zu gehören und zwar nicht als etwas, das wir besitzen, sondern als etwas, das (zu) uns gehört und dem wir hörig – nicht ‹ur-teilend›, nicht ‹aus-lesend› – unser Gehör schenken. Andere Eydus lassen uns über die Ortsnamen stolpern, machen uns auf etwas aufmerksam, was ‹nämlich› eigentlich schweigend, nicht still, und doch noch schemenhaft erklingt. Eydus, die den Lagerplatz-Gleisen, Stolperfallen, gleichen: ‹Die Felder sind weg› / Arbeiterhaus mit Garten / Wie lange noch? (‹Feldeggstrasse› von Sandra Biberstein); Plätze und Strassen / Ich frag mich still wo sind denn / ‹Die grünen Linden› (‹Lindenplatz› von Simon Brunner).

Poetograph*innen, -graphie, -graphistik. Es ist bekannt: Eydus sind Strophen eines kollektiven
Epos, das aus zig Stimmen be-, vorzu ent- und uns dabei beisteht, die Poesie des Raums zu verstehen. Die Poetographie stellt uns also ein Verfahren zur Verfügung, schriftstellerisch die Schrift in den Namen der Stadt zu stellen, ‹im Namen Winterthurs› das entstehende Winterthur Winterthurs dem bestehenden Winterhur unfugsam eingefügt zu erfahren. Jenes Winterthur Winterthurs, das sich im und durch den Epos manifestiert. Die «Poetographistik» stiftet – mit Stift und Papier – den Griff, der versucht zu begreifen, was die Poetographie ‹an die (öffentliche) Hand› gibt. Wer als Winterthurer*in ‹sich mit dem› Winterthur Winterthurs im kollektiven Epos ‹auseinandersetzt›, zersetzt in dieser Auseinandersetzung zugleich das, was der Selbstbenennung – «Ich bin ‹Winterthur›-er*in!» – eingeschrieben ist und betritt den dem Zwischenraum dieses Namens eingeschriebenen Zwischenraum, das «-inter-» W-inter-thurs. Darin ist sie*er ein ‹Ich im Wir›. Ein Ich im unabschliessbaren, aus vorzu wechselnden Ichs entstehendem Wir – es ruft kein ihm entgegenstehendes «Ihr!» hervor. Poetographierende und -phistische Ichs scheinen im Epos auf wie Sterne an jenem Laternenhimmel, den man einige Meter über der Erde schwebend im Stadion, längs der Verkehrsadern, über der Steibi sieht. Ein Himmel aus errichteten Sternzeichen, mit seiner eigenen, unsteten Astrologie. – Jedes ‹Ich im Wir› funkelt in diesem Lichtstimmschwirrn.

Polynja
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Poetographie

Hörtext von Marc Herter.

Fideretten
Poetographie

Wäre es nicht faszinierend, wenn es eine ganz originale winterthurer Literatur gäbe? Ach, die gibt es ja! «Fideretten» entfalten Eydus zu kurzen Geschichten über unsere Stadt. Du willst auch ein…

der turm
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Poetographie

heute ein extra grosses müesli. energie für einen aufregenden tag.