Solange früher alles besser war, bleibt alles beim Alten

Es gibt sie noch. Diese Orte in Winterthur, an denen man das Gefühl hat, die Zeit sei irgendwie stehen geblieben. Natürlich, da war kurzfristig viel Beton im Weiher, die Bratwurst kostet mehr und auch die Minicarts für die Kinder sind doppelt so teuer wie noch vor 20 Jahren – aber davon abgesehen ist irgendwie alles beim Alten geblieben beim Schützenweiher.

«Seid ihr sicher, dass ihr spielen wollt?», fragt uns der junge und sichtlich irritierte Angestellte mit Sombrero. «Es regnet», erklärt er uns, ganz so, als vermute er, wir würden das nicht wissen. Das sei schon okay, antworten wir und nehmen unsere Schläger entgegen. Als sich die Flasche Sprudel, die wir uns gekauft hatten, um uns das Wetter schöner zu trinken, als alkoholfreier Traubensaft für Kinder entpuppt, dämpft das zwar unsere Stimmung, aber wir wagen trotzdem, was auf der Webseite postuliert wird: «Es kann auch bei Regenwetter Minigolf gespielt werden.» Bei schlechtem Wetter muss man zudem nie so lange warten, bis die einzelnen Bahnen frei werden; und dieses Geräusch, wenn der Ball, statt ins Loch zu rollen, ins Wasser plumpst, hören wir so auch zum ersten Mal. Die Minigolfanlage Schützenweiher ist per se ein Erlebnis, völlig farbenfroh hat sich hier jemand daran gemacht, möglichst viele Tierskulpturen sowie Pilze anzufertigen und diese auf dem Platz aufzustellen. Während wir unsere Bälle durch die Pfützen auf den Bahnen rollen beziehungsweise schwimmen lassen, hört es langsam auf zu regnen. Doch es bleibt kalt.

 

Zeit, um sich aufzuwärmen also. Wir holen uns beim Selbstbedienungsrestaurant einen doppelten Cheeseburger, früher – so hiess es – der beste Burger der Stadt, und setzen uns an den Weiher. Scheinbar hat sich auch die Küche hier seit 20 Jahren nicht verändert. Der Wirt des Restaurants ist aber nicht für sein Essen bekannt geworden, sondern weil er Teile des Weihers zubetonierte. Er wollte eigentlich nur die Seerosen bekämpfen und hat, wenn auch unabsichtlich, den Weiher verschmutzt und so hohe Kosten für das Absaugen des dreckigen Wassers verursacht. Das mit dem Seerosen Eindämmen hat übrigens geklappt – freie Fahrt also für den Modellschiffclub Winterthur, der sein Vereinshäuschen am gegenüberliegenden Seeufer hat. Daneben ist das «Schützehüsli» aus dem traditionellen Schützenhaus entstanden, welches heute als Quartiertreffpunkt fungiert.

 

Über 150 Jahre ist die Gründung des Schützenvereins Veltheim her, die Anlage am Schützenweiher gibt es nicht mehr, aber der Weiher trägt noch seinen Namen. Dort, wo anfangs geschossen wurde, steht heute die Campinganlage. Wer heute noch schiessen will, kann das im Bogenschützen-Verein, welcher sich ebenfalls am Schützenweiher befindet. Auf dem Schützenweiher wurden ausserdem Meisterschaftsspiele des 1933 gegründeten EHC Veltheim ausgetragen, der auch mal  gegen den Lokalrivalen EHC Winterthur  gewann. Als es dann 1956 um den Aufstieg ging, verlor Winterthur 1:2 gegen Servette. (Genfer an der Tabellenspitze, das kennt man auch beim FCW ...) Sieben Jahre später tat sich der EHC Veltheim mit dem EHC Winterthur zusammen. Heute ist das Eis meistens zu dünn, das letzte Mal durfte man 2012 auf dem Schützenweiher Schlittschuhlaufen.

 

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich in den 1990er-Jahren auf dem Schlitten sass und von meinem schlittschuhlaufenden Vater über den gefrorenen Weiher gezogen wurde. Als Kind kam mir dieser Weiher unendlich gross vor. Jetzt merke ich, wie schnell man rundherum gelaufen ist. Früher war ich fast jedes Wochenende hier, um Enten zu füttern. Jetzt führt mich mein Weg nur noch selten hierhin – schade eigentlich, denn diese Umgebung hat irgendwie Charme, wenn auch den eines älteren Herrn mit schütterem Haar. Im Unterschied zu damals darf ich aber heute in den Spielsalon – als Kind wurden wir nämlich strengstens überwacht. Genau das tun wir also, nach dieser verregneten Minigolfpartie und dem obligatorischen Hamburger: Wir gehen flippern. Ich liebe verlassene Spielsalons, sie sind und bleiben die Casinos der Lastwagenfahrer*innen und Stammkund*innen. Als wir gehen, fällt mir der Schriftzug «Dancing – Tanzhalle» auf und ich erinnere mich daran, dass hier ja jeden Freitag und Samstag Tanzveranstaltungen stattfinden, an denen sich der Beziehungsstatus der Gäste daran ablesen lässt, ob sie am Tisch mit dem gelben oder roten Tischtuch sitzen.

«Stell dir vor, du kommst nach Winterthur und siehst als erstes das Schützenhaus, was denkst du dann von unserer Stadt?», fragt mich mein bester Freund, als wir uns wieder in Richtung der 3er-Bus-Haltestelle aufmachen. Ich schmunzle ab dieser Vorstellung. 

 

Info zur Serie:

In der Serie «Orte Winterthurs» beleuchtet das

Coucou-Team alle zwei Monate einen Ort in

Winterthur aus einer persönlichen, literarischen

oder historischen Perspektive.

«Weisch, det vorem Manor.»
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«Treffemer ois bim Merkurplatz?!» – «Äh sorry, wo isch das?» — «Das isch ebe dä vorem Manor, weisch det, wo de Ägypter isch.»

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Zugegeben, die Chnelle 3 an der Technikumstrasse ist selten erste Wahl. Dennoch kann es vorkommen, dass man dort landet, wenn auch meistens aufgrund eher unvorhersehbarer Zufälle.

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