«Über Kunst darf und soll man streiten»

«Über Kunst darf und soll man streiten»

Eigentlich kann David Schmidhauser gar nicht genau sagen, was ihn damals zum Studium der Kunstgeschichte bewogen hat. «Kunst hatte für mich wohl immer ein bisschen etwas Mysteriöses an sich.» Heute ist er seit 10 Jahren beim Kunst Museum Winterthur angestellt und mittlerweile als Kurator tätig.

Mit verschränkten Armen und Sonnenbrille auf der Nase stehen zwei Polizist*innen breitbeinig vor dem Eingang des Kunst Museum Winterthur an der Stadthausstrasse. Dahinter werden aus einem Laster behutsam schmale Holzkisten ausgeladen und eine nach der anderen die Treppe hoch in das monumentale Gebäude getragen. Der Inhalt dieser Kisten ist Millionen von Franken wert: Es handelt sich um Originalgemälde des romantischen Landschaftsmalers schlechthin: Caspar David Friedrich. Anlässlich seines bevorstehenden 250. Geburtstages widmet das Museum dem deutschen Romantiker diesen Herbst eine grosse Ausstellung. Der 39-jährige David Schmidhauser hat diese kuratiert.

 

Er steht im Eingang, vom Shirt bis zu seinen All Stars ganz in schwarz gekleidet, die Haare zu einem Man Bun gebunden, und beobachtet das Geschehen: «Diese Tage sind immer am aufregendsten», erklärt er. «Wenn die Bilder da sind und es ans Aufhängen geht, sehen wir endlich, ob unser Konzept im Raum funktioniert.» Im Falle dieser Ausstellung wird fast jedes Werk von einem eigenen Kurier begleitet, der ein Zustandsprotokoll macht und beim Auspacken und Aufhängen der wertvollen Gemälde dabei ist.

 

Fürs Interview setzen wir uns in eines der Büros. Die Wand ist bis zur Decke gefüllt mit Büchern, davor stehen zwei leere Staffeleien. Wenn David spricht, verraten seine Gesten, mit welcher Leidenschaft er seinen Job als Kurator hier ausübt. «Ich wusste damals einfach, ich muss etwas machen, das mich richtig interessiert, sonst ziehe ich mein Studium nicht durch», erzählt er. Das St. Galler Rheintal, wo er aufgewachsen ist, sei «nicht gerade eine Hochburg der Kunst» gewesen. «Ich ging zwar schon damals gerne in Museen, wusste aber echt wenig über Kunst. So dachte ich mir, ich befasse mich am besten direkt im Studium damit.» David zog fürs Studium der Kunstgeschichte und Germanistik nach Bern, absolvierte ein Auslandsemester in Paris, und zwar an keinem geringeren Ort als der renommierten Traditionsuniversität Sorbonne: «Mindestens einmal die Woche besuchte ich das Louvre, das war schon ziemlich cool.» Nach dem Master fand David seinen Einstieg in die Branche im Centre Dürrenmatt in Neuchâtel und konnte dort seine erste Ausstellung kuratieren: «ganz klein, aber trotzdem eine tolle Gelegenheit.»

 

Daraufhin kam er als Volontär zur Oskar Reinhart Stiftung nach Winterthur, das war vor 10 Jahren. «Ich hatte Glück und durfte als wissenschaftlicher Mitarbeiter bleiben.» Bald wurden dann im Zuge des Winterthurer Museumskonzeptes die bis dahin unabhängigen Häuser Kunstmuseum Winterthur, Museum Oskar Reinhart und Villa Flora zu einem musealen Betrieb zusammengeführt – so ist David nun Kurator fürs 18. bis 20. Jahrhundert beim Kunst Museum Winterthur.

 

«Meine Arbeit als Kurator sehe ich als grosses Privileg, das auch Verantwortung mit sich bringt.» David arbeitet eng mit der Museumsdirektion zusammen. Sie bestimmen gemeinsam, welche Künstler*innen und Themen dem Publikum präsentiert werden. Sobald eine Idee steht, gilt es, das Praktische abzuklären: Was ist realistisch in Bezug auf Budget, Räumlichkeiten und Bilder? Beispielsweise sind Holzbilder aus dem Mittelalter aufgrund der klimatischen Anforderungen viel schwieriger auszustellen als moderne Blechskulpturen. Sie erarbeiten ein Konzept und tauschen sich mit anderen Museen, Privaten und Sammler*innen aus, um passende Bilder erster Qualität zu finden.

Wer bestimmt denn überhaupt, was als Kunst erster Qualität gilt? David lacht auf: «Das haben wir heute beim Mittagessen auch gerade diskutiert. Zeitgeist ist sicher ein grosser Faktor. Der Geschmack der Leute verändert sich stets. Ich bin aber überzeugt, dass es auch so etwas wie künstlerische Qualität gibt: Wenn sich ein*e Maler*in über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg etabliert und immer wieder neue Generationen begeistert, dann ist das schon etwas Allgemeingültigeres als Trends oder Meinungen spezifischer Sammler*innen oder Kunsthistoriker*innen. Aber natürlich ist alles auch Geschmacksache, über Kunst darf und soll man streiten.»

 

Auch das Kuratieren bezeichnet David als Geschmacksache: «Richtig und Falsch gibt es nicht. Ich finde es jedoch wichtig, dass Kurator*innen sich selbst nicht zu ernst nehmen - man kann eine Ausstellung auch überkuratieren. Unsere Arbeit soll nicht ablenken, sondern dazu führen, dass man sich mit Kunst richtig auseinandersetzen und über sie nachdenken kann.»

 

Von der Konzeption bis zum Ausstellungsbeginn dauert es in der Regel zwischen einem und drei Jahren. Ein Teil des Jobs ist es auch, herauszufinden, wo sich die vorgesehenen Ausstellungsstücke überhaupt befinden. «Da helfen Erfahrung und gute Kontakte in der Branche. Manchmal wird dann fast ein bisschen bazarmässig getauscht und gehandelt», erklärt David schmunzelnd.

 

Eines der grossen Vorurteile, denen sich Kurator*innen stellen müssen, ist, dass Kunst etwas Elitäres, wenigen Privilegierten Vorbehaltenes sei: «Museen als Institutionen können einen etwas elitären Charakter haben, aber wir versuchen, mit zeitgenössischer Kunst und aktuellen Themen auch ein breites Publikum anzusprechen. Kunst zu betrachten und zu geniessen hat an sich ausserdem gar nichts Elitäres. Kunst gibt es, seit es Menschen gibt. Früher an eine Höhlenwand gemalt, jetzt im Internet – egal in welcher Form, Kunst war immer ein Mittel zur Reflexion über eine Gesellschaft und deren grossen Fragen nach dem Leben, der Liebe und dem Tod.»

 

Hat Kunst denn eine konkrete Aufgabe? «Das ist der eigentliche Witz: Einerseits hat sie keinen konkreten Verwendungszweck in kapitalistischem Sinne, sie ist kein Gebrauchsgegenstand. Kunst kann machen, was sie will, sie muss nichts und darf alles. Und gerade deshalb hat sie andererseits eine sehr wichtige Funktion. Das hat sich während der Pandemie, als wir alle zu Hause sassen, sehr deutlich gezeigt. Zum Glück gibt es Filme, Bücher und Musik… Stell dir eine Welt ohne Kunst und Kultur vor! Unmöglich!

Sabina Diethelm ist freischaffende Fotografin und Schreibende aus Winterthur und hätte sich auch mal fast für ein Studium der Kunstgeschichte entschieden.

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