Chrigi & Sam umschreiben die Essenz des Raps als «Rhythmus, Poesie und Gemeinschaft.»
Krysl sagt, die Essenz des Raps sei für ihn ein «Sprachliches Spielen mit verschiedenen Facetten.»  
«Mit Rhythmus und Wörtern Emotionen ausdrücken» – das ist die Essenz des Raps für Anisa Djojoatmodjo.

Verspielt. Winterthurs Rapszene Teil III

Was verbinden wir mit dem Wort «Rap»? Ist es einfach ein allseits bekanntes Musik-Genre, oder steckt mehr dahinter? Vier Künstler*innen aus Winterthur lassen Rap in ihre Musik auf eine völlig andere Art einfliessen, als die meisten es erwarten würden. Sie verändern dabei die vermeintlich klaren Grenzen zwischen Rap- und sonstiger Musik. Sie vermischen Stile. Dabei entsteht etwas erfrischend Alternatives, das aber immer noch Rap ist. Anisa Djojoatmodjo, Krysl, FiggdiSam und sein Producer Gritibounce erzählten mir für den dritten Teil der Artikelserie über Rap als alternativer Kunstform, von den heutigen Trends und vom Überwinden bestehender Konventionen und Klischees.

Genau hinhören

«Ich wäre wirklich gerne ein Punk geworden, aber mit der Musik konnte ich gar nichts anfangen», erzählt André Krysl. Er ist zum Lunch gekommen. Wir sitzen auf meinem Sofa und sein Lachen dröhnt durch meine kleine Altstadtwohnung. «Der Hip-Hop-Lifestyle war eher mein Ding. Schon mit 12 Jahren war ich fasziniert von breiten Hosen, der Sprachgewandtheit im Rap und der friedvollen ‹Each One Teach One›-Message, also Wissen und Erfahrungen weiterzugeben an Menschen, die aus sozial tieferen Schichten kommen und kein grosses Sprachrohr haben.» André Krysl versteht sich klar als Rapper. Aus einem scheuen Jungen wurde er mit der Zeit eine «Rampensau», wie er es spitzbübisch grinsend formuliert. «Hip-Hop hat mich sozialisiert. Ich war als Kind eher durchschnittlich in der Schule, bis ich durch Rap gemerkt habe, dass es eigentlich cool ist, Bescheid zu wissen. Ich begann Bücher zu lesen, genau hinzuhören, offen zu sein.» Es lohnt sich ebenfalls genau hinzuhören, wenn man sich die Tracks von Krysl reinzieht. Unter seinem Nachnamen versucht er heute, mit seinem Rap die bestehenden Erwartungen an dieses Musik-Genre aktiv zu überwinden. Sein Stil ist unkonventionell, nicht immer reimt sich alles perfekt und die Tracks sind oft sehr instrumental. Krysl zeigt sich nachdenklich und reflektiert, kann sich aber gleichzeitig gut über sich selbst und andere lustig machen, wobei er trotzdem respektvoll bleibt. Nicht ganz das Klischee, das ich vom Rap kenne, muss ich zugeben. Genauso unkonventionell ist auch die Art, wie Krysl seine Beats und Tracks produziert. «Ufem Bapi sim Kompi», nämlich. So heisst nicht nur sein neustes Album, welches am 23. Juli als Schallplatte erschienen ist, der Titel ist auch wortwörtlich zu nehmen. «Mein Vater hat in den 90er-Jahren einen alten Computer aus dem Abfall gefischt und ihn eigenhändig geflickt. Auf ebendiesem Gerät produziere ich heute meine Tracks.» Wie das geht? Es seien keine grossen Tricks dahinter. Man brauche nicht das neuste Equipment, ein alter Computer reiche völlig aus, meint Krysl und zuckt mit seinen breiten Schultern. Der Output hört sich, zumindest für mich als Laie, tatsächlich auch nicht gross anders an. Als ich Krysl frage, inwiefern er sich mit Rap identifiziere, wird er ernst. «Ehrlich gesagt habe ich mich schon immer ein bisschen für Hip-Hop geschämt. Er hat eine sehr asoziale, diskriminierende und sexistische Seite.» Das sei natürlich auch von den Medien immer wieder so inszeniert worden und der Hip-Hop habe gerade in der Schweiz somit keinen richtigen Zugang zur Gesellschaft gefunden. «Vor allem zur bürgerlichen Gesellschaft. Es wäre schön, wenn man Rap von einer anderen Seite sehen und ihm gegenüber offener sein könnte.» Diesen Wunsch nach Offenheit betont Krysl im Laufe des Gesprächs immer wieder. Deswegen findet er auch die heutigen Trends im Rap «eigentlich noch cool», auch wenn sich vieles verändert hat. Die Beats seien musikalischer geworden, unter anderem auch deshalb, weil sie Kompinenten anderer Musik-Genres aufgreifen. Die Grenzen zwischen diesen seien heute viel verschwommener. «Die Globalisierung gab uns einen Vorteil. Man kann mittlerweile so schnell verschiedene Musik aus der ganzen Welt hören – das ist spannend! Wenn ich im Ausland bin, besuche ich immer einen lokalen Plattenladen und kaufe mir Platten von Künstler*innen aus der Stadt. Das gibt neue Eindrücke und inspiriert mich.» Diese Offenheit gegenüber neuen musikalischen Eindrücken trage auch dazu bei, Vorurteile und Klischees dem Rap gegenüber zu überwinden. «Wenn man genau hinhört, dann merkt man schnell, wie divers Hip-Hop sein kann, dass eben nicht alles genau gleich tönt und nicht immer dieselben Phrasen geleiert werden.» Die Pandemie-Zeit sei für ihn eine Zeit der Selbstverwirklichung gewesen. Sie gab ihm einen Drive, er habe sich ausleben können. Sogar einen Bubentraum hat er sich verwirklicht. «Chicago», rausgekommen im Sommer 2020, ist ein rein instrumentales Album, das Krysl mit drei Freunden aufgenommen hat. «Wir wollten alle schon immer mal ein Album nur instrumental aufnehmen und mit verschiedenen Facetten spielen – ‹Chicago› war das Resultat.» Diese Facetten sieht Krysl auch in Winterthur. «Es machen hier so viele Leute verschiedene Musik, aber man meint es immer ernst, wenn man jemandem sagt, man fände seinen*ihren Sound cool. Es herrscht in Winti eine sehr grosse Zusammengehörigkeit in der Musikszene.»

 

Die Punks der Rapszene

Facettenreich sind auch Sam und Chrigi. Künstlerisch unterwegs als FiggdiSam und Gritibounce entdecken die beiden gerne die «schlauen» Seiten des Raps, wie sie es nennen. Während Gritibounce, professioneller Tontechniker von Beruf, die Beats produziert, textet und rappt FiggdiSam. «Ich möchte keine Macho-Sachen wiederholen. Meine Texte sollen Inhalt haben, etwas erzählen, politisch sein aber gleichzeitig Humor haben. Von absichtlicher, diskriminierender Provokation halte ich nichts», sagt Sam. Wir haben uns zu einem Kaffee auf meiner Couch getroffen. Chrigi, der neben ihm sitzt, nickt. «Es gibt so viele Dinge, mit denen man anecken oder ein bisschen provozieren kann. Ich verstehe nicht, wieso es im Rap immer gleich diskriminierend sein muss, das finde ich ätzend», ergänzt er. Sam war schon immer begeistert vom Rap, hat sich aber bis 2018 nicht getraut, es selber auszuprobieren. Dann, inspiriert von einer Doku-Serie über Hip-Hop, überwand er sich dazu. «Ich fand Rap zwar immer grossartig, habe die Musik richtig aufgesogen, Konzerte organisiert und aufgelegt, aber da dachte ich das erste Mal, ich sollte das Rappen selber ausprobieren. Es hat natürlich geholfen, dass mein Umfeld mich dabei motiviert und mir gesagt hat: «Das hört sich gut an!» Chrigi hingegen produziert seit bald 20 Jahren Beats, war schon immer sehr musikalisch und spielt verschiedene Instrumente. «Ich finde es grossartig, verschiedene Instrumente in einen Rap-Beat zu packen. Allerdings muss ich manchmal schauen, dass diese Variationen nicht eskalieren», erzählt er schmunzelnd. Ein Album namens «Ungreimtheite» 2019 und drei Singles haben die beiden bereits herausgebracht. Als ich sie frage, wie sie Rap für sich definieren, meint Sam: «Es ist für mich Gemeinschaft, Rhythmus und Poesie. Obwohl Gemeinschaft meist heterogen und Rap eher homogen ist, verkörpert er für mich das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Es kann einfach nur Musik sein, aber auch zu ganz vielen anderen Kontexten dazugehören.» Chrigi definiert Rap als eine sehr effektive Art, Inhalte zu transportieren, «vielleicht sogar mehr als durch andere Musik-Genres, da Hip-Hop sehr textlastig ist. Der Fokus liegt auf den Worten, der Message. So kann man einiges mehr vermitteln.»

Die Zusammenarbeit der beiden hat mittlerweile zur Gründung einer weiteren Band geführt: Clan des Dinos. «Ein paar von uns hatten seit 2015 jährlich für den 1. Mai einen Mobilisierungstrack gemacht», erzählt Chrigi. «Jedes Jahr kamen dann mehr Leute dazu, unter anderem Sam, als wir mit unserer Zusammenarbeit begannen. All diese musikalischen Zugänge passten eigentlich ganz gut zusammen.» Die Gründung der Crew war ursprünglich nur dazu gedacht, «ein paar alte Lieder wieder zu beleben». Nach einer ersten EP hat der Clan des Dinos dann aber auch gemeinsam Singles und nun auch ein ganzes Album mit neuen Songs rausgebracht, das sich «Dinos for Future» nennt. Die Message, die Sam und Chrigi mir mitteilen, nämlich, dass Rap Inhalt und eine schlaue Message enthalten sollte, unterstreichen besonders einige Tracks vom Clan. «Patriarchaschmichmal», von den beiden FLINT-Personen* der Gruppe gerappt, und der Track «Dinos for Future», beziehen Stellung zu aktuellen politischen Themen und Diskussionen. Sie regen zum Denken an, sind gleichzeitig aber charmant und ganz witzig. «Es ist extrem wichtig, dass man sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzt», meint Sam. «Ich fände es zum Beispiel völlig fehl am Platz, einen Song über Winterthur zu schreiben und dabei meine Heimatstadt total zu vergöttern. Auch in Winterthur gibt es genug Dinge, an denen es Kritik zu üben gilt, es ist bei Weitem nicht alles perfekt.» Chrigi ergänzt: «Zuerst muss man immer vor der eigenen Tür wischen, bevor man es irgendwo anders tut.»

Ungewöhnlich an den beiden Künstlern ist, dass keiner von ihnen einen Social Media Kanal betreibt, weder privat noch um ihre Musik zu verbreiten. Weshalb? Die beiden lachen etwas verlegen. «Keine Ahnung, ich finde diese Selbstinszenierung einfach doof», meint Chrigi und Sam pflichtet ihm bei: «Wir haben uns schon mal überlegt, als Musiker einen Kanal zu starten, aber irgendwie ist diese Idee immer wieder im Sand verlaufen.» Die Leute, die ihre Musik hören wollten, würden sie ja finden, deswegen sei eine grosse Plattform nicht nötig, erklären sie. Es reiche, wenn man sie auf den Soundclouds finde. «Wir machen das ja nicht um Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern weil wir Freude dran haben. Und es geht uns eher um die Message als darum, uns selbst darzustellen. Wir sind sozusagen die Punks der Rapszene.»

 

 

«Dänn machis halt sälber»

Auch auf ihrem privaten Instagram-Profil sind Beiträge eher rar, das künstlerische dagegen schillert in allen Farben und Klängen. Anisa Djojoatmodjo ist ein Teil des Duos Ikan Hyu, spielt für die Singer/Songwriterin Ella Ronen Gitarre und zeigt ihre Skills sporadisch auch bei der Winterthurer Band Greatasstits auf der Bühne. Musik ist ihr Job, ihre Leidenschaft, ihre Geschichte. «Als Halb-Indonesierin wurde mir Rhythmus in die Wiege gelegt. Musik und ich; das war eine logische Zusammenführung», sagt Anisa bei einem Bier in der Steibi. Rapperin ist sie nicht Vollzeit. In ihren Tracks mit Ikan Hyu lässt sie Rap immer wieder mit einfliessen. «Das kommt total intuitiv. Wir machen einen Song und wenn ich finde, das passt, dann rappe ich.» Es gebe auch einige Lieder, in denen nur Gesang vorkommt. «Oder etwas dazwischen, eine Art sprechendes Singen.» Sie singt mir ein Beispiel aus dem Lied «Overdrive» von Ikan Hyu vor. «Es kann ganz viele Variationen haben.» Wie sie dazu gekommen sei, zu rappen, will ich wissen. Anisa lacht. «Das war eher Zufall. Vor ungefähr acht oder neun Jahren hatte ich an einem Konzert mitgewirkt, wo ein Gastrapper hätte auftreten sollen. Nachdem er kurzfristig absagt und somit die ganze Organisation und Planung durcheinandergebracht hatte, dachte ich an Alternativen. Da kam mir die Idee, diese Lücke einfach selbst zu füllen!» Sie zuckt mit den Schultern und grinst. «Seit da rappe ich.» Gehört habe sie Hip-Hop aber schon früher. Sie sei fasziniert gewesen von der Art und Weise, wie man Emotionen mit Sprache ausdrücken kann. Es sei aber immer englischer Rap gewesen, weswegen sie ihre Texte auch heute auf Englisch schreibt. «Ich finde die englische Sprache irgendwie präziser, kann mich besser darin ausdrücken», erklärt sie. «Lauryn Hill hat mich zum Beispiel sehr inspiriert.» Die heutigen Rap-Trends kennt sie allerdings nicht gut. Das letzte Album, das sie gehört habe, sei vom Clan des Dinos gewesen, jener Rap-Crew, die mir Sam und Chrigi vorgestellt haben. «Es hat viel Gutes unter der neuen Rap-Generation von heute, und auch wenn mir nicht alles so präsent ist, höre ich immer wieder gerne rein.»

Die Art und Weise, Rap in ihre Musik mit Ikan Hyu einfliessen zu lassen, sei sehr vielseitig. «Ich liebe es, mit meiner Stimme zu spielen. Rap ist ein tolles Instrument dafür, weil es fast wie ein Gespräch ist, es liegt sehr viel Fokus auf dem Text. Dabei kann ich mit Geschwindigkeiten, Lautstärken, Stimmfarben spielen, wie ich will, und das macht mir mega Spass.» Sie breche gerne mit dem Rhythmus, um dann wieder zurückzukommen auf den Takt, dasselbe mache sie auch mit der Gitarre. «Diese Spielereien finde ich geil.»

Gibt es etwas, was dich an Rap stört? Sie überlegt. «Ich glaube, das gibt es nicht nur im Rap, sondern bei vielen Dingen. Es gibt zum Beispiel auch im Rock Dinge, die ich hinterfrage oder die mir nicht gefallen, aber trotzdem höre ich die Musik.» Nach einer kurzen Pause meint Anisa dann aber doch: «Natürlich stört mich an Rap die Frauenfeindlichkeit, aber das höre ich mir dann einfach nicht an, Punkt.» Sie meint, jede*r mache schlussendlich sein*ihr eigenes Ding, identifiziere sich auf seine*ihre Art mit dem gewählten Musik-Genre. Anisa lässt sich auch gerne inspirieren. Nicht im aktiven «Sound-Suchen», wie sie es nennt, sondern eher von Geschehnissen und Ereignissen, die ihr widerfahren. Das können schöne Momente sein, aber natürlich auch negativ belastete. Letztere sieht Anisa allerdings gelassen. «Wenn etwas passiert, was mich aus der Bahn wirft, dann kommt schlussendlich ein guter Song dabei raus, und das ist doch toll!», sagt sie lachend.

 

Rap aus einer neuen Perspektive – das haben mir die vier Künstler*innen in diesen Gesprächen gezeigt. Die vielen verschiedenen Facetten des Schweizer Raps faszinieren mich. Man muss allerdings ein wenig suchen, um sie zu finden. Während viele noch ein Bild des Gangster-Raps vor sich haben, sobald sie auf Hip-Hop treffen, entsteht in einer anderen, eher verborgenen Nische sehr reflektierter, verspielter und instrumentaler Rap. Man muss nur genau hinhören.

 

*FLINT-Personen (Frauen*, Lesben, inter-, non-binäre und trans) bezeichnet alle Personen, welche vom Patriarchat diskriminiert und unterdrückt werden

 

 

Zusatzinfos

30 Jahre Schweizer Mundart-Rap

Welche Winterthurer Rapper*innen haben in den letzten Jahren den Schweizer Mundart-Rap geprägt, und wie? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Toja Rauch in ihrer Artikel-Serie zur Winterthurer Rapszene.

 

 

Toja Rauch ist Stürmerin bei den FC Winterthur Frauen, angehende Linguistin und liebt Rap in all seinen Varietäten, Formen und Sprachen.

 

Martin Schäppi wurde Kameramann, um coole Rapvideos zu drehen, hat aber schon alles mögliche abgelichtet: von Kulturplatz über Sternstunde Musik bis zur Landfrauenküche.

 

Dylan Wiedler ist umtriebiger Filmemacher und lausbub. Er hat unter anderem das Video «LFO» von Ikan Hyu gedreht.

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